Edition Thanhäuser
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Esther Kinsky

FlussLand Tagliamento

Gedichte

Der Tagliamento ist kein langer Fluss. Er entspringt in den Friulanischen Dolomiten und fließt durch die abfallenden karnischen Alpen in südöstliche Richtung, bis er am Zusammenfluß mit dem Fella nach Süden abknickt und in die Ebene eintritt. Im Oberlauf hat der Fluss zwischen Felsenhängen aus Metamorphit- und Sedimentgesteinen ein Bett gegraben, das sich unversehens weitet. Die Farben der Gesteine ändern sich mit dem Licht, vom stumpfen Grün über gneisiges Grau bis hin zu gelblich-schrundigen Felsnarben bei Villa Santina, die im Sonnenlicht wie Versehrung, im Regen wie eine große Verfleckung des Hangs wirken, in der Nacht fahl stehen. Bergschorf, in dem das Dunkel nie ganz verfängt, ohne ein Büschel Grün. Verbliebene Wundflächen von Erschütterungen, womöglich eine Folge der unzähligen kleinen, oder den beiden großen letzten Erdbeben, Jahrhundertspuren einer Verschiebung des Geländes, der Lage des Dinge.

Je breiter der Tagliamento wird, desto weißer das Bett, Zuflüsse tragen das kalkige Karstgestein von Norden und Osten herbei, und so, weißgrau, das riesige Schotterbett mit unberechenbar wechselnden Wasserläufen durchwebt, tritt er in die Ebene ein und wendet sich dem Meer zu, gleißend, bläulich, im Dunst- und Regenlicht taubengrau, eine Landschaft für sich, die alles an sich zieht, ohne Ufer, Land unterwandernd.

Außerhalb der spärlicher werdenden Phasen schwerer Regenfälle und der Schneeschmelze ist das Flussbett eine Landschaft aus Stein mit einzelnen Inseln schmächtigen Gestrüpps zwischen den vielen schmalen Wasserarmen. Wo ist der Fluss? fragen Besucher ratlos auf den Brücken, am Ufer. Der Fluss ist die Spur die er zieht.

Vergriffen

Am 3. August 2023 erscheint in der Friedenauer Presse (Matthes & Seitz Berlin) eine Neuauflage von FlussLand Tagliamento von Esther Kinsky.
Mehr dazu unter: www.matthes-seitz-berlin.de

Personen

Esther Kinsky

Autorin

Esther Kinsky ist Autorin von Lyrik, Prosa und Kinderbüchern und auch literarische Übersetzerin von Prosa und Lyrik aus verschiedenen Sprachen. Ihre letzten Veröffentlichungen sind, der Gedichtband Am kalten hang. Viagg’ invernal, die Übersetzung der autobiographischen Fragmente des englischen „peasant poet“ des 19. Jahrhunderts, John Clare : Reise aus Essex. Berlin 2017, sowie Hain. Geländeroman. Berlin 2018, ausgezeichnet mit dem Düsseldorfer Literaturpreis und dem Preis der Leipziger Buchmesse. Sie lebt in Wien und im Friaul.

Bibliografische Angaben
Bindung

Fadenheftung

Format

145 × 235 mm

Inhalt

Mit achtundzwanzig Birnholzschnitten von Christian Thanhäuser im Text und einem Original-Holzschnitt am Umschlag

ISBN

978-3-900986-30-8

Jahr

2020

Seiten

96

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